Schreibprozess

Leises Rascheln, als er das Papier aufriss und sich gierig über den Schokoriegel hermachte. Ein Bissen, zwei, drei, schon war die kurze Freude wieder beendet – und die damit einhergehende Ablenkung. Er trank einen Schluck längst kalten Kaffees, verzog angewidert das Gesicht und zwang sich, auf den weißen Bildschirm zu starren. Seit Ewigkeiten saß er nun schon hier, und wartete. Auf den Musenkuss, die Inspiration. Darauf, dass ihm die Worte von selbst aus den Fingern flossen, Luftschlösser sich bauten, Jungfrauen sich retten ließen und Helden Heldentaten taten.
Er wartete vergebens.
Seit Stunden.
Kalter Kaffee, Schokoriegel. Kein einziges Wort.
Der Bildschirm starrte ihn höhnisch an. Kalt. Weiß. Erbarmungslos. Leer.
Er kratzte sich energisch an den spärlichen Kinnhaaren, rückte die verbogene Brille zurecht. Streckte die Finger, hörte die Luftblasen in den Gelenken knacken.
Er griff in die Tasten. Ordnete Buchstabe an Buchstabe, Wort an Wort. Malte langsam eine saftige, grüne Landschaft, pflanzte einen einsamen Reiter hinein, auf einem abgetriebenem Gaul, der soeben eine Hügelkuppe bezwang. Dazu ein Schrei, ein Planwagen, weiß, rotgetupft, von frischem Blut – Siedler, die überfallen wurden.
Der einsame Reiter hebt sich in den Steigbügeln, spornt sein treues Ross zum letzten Spurt an. In vollem Galopp trägt es ihn dem Kampf entgegen. Er streckt die Gegner nieder, einen nach dem anderen, noch ehe sie wissen, wie ihnen geschieht. Erbarmungslos bahnt er sich seinen Weg.
Doch schon regt sich Widerstand. Einer greift von links an, ein anderer von rechts. Er pariert einen Schlag, fängt einen anderen mit seinem Schild ab. Seine Rückhand streckt einen Feind nieder, da saust eine Streitaxt heran – im letzten Moment weicht er aus, lässt sich vom Pferd fallen, rollt sich über die Schulter ab. Warmes Blut läuft aus einem Schnitt an seiner Wange.
Sein Gegner lacht, stürzt sich auf ihn und bezahlt mit dem Tod. Weitere folgen, doch keiner ist ihm gewachsen. Er pariert ihre Attacken, setzt ihnen nach, treibt mit ihnen sein Spiel. Verwundet, verstümmelt seine Kontrahenten.
Erbarmungslos. Wie eine Maschine. Keiner ist ihm gewachsen, egal ob er von vorn, von hinten, von der Seite angreift. Er pariert ihre Attacken mühelos, setzt ihnen zu. Verwundet, verstümmelt seine Kontrahenten.
An seinen Händen klebt Blut – wessen, weiß er nicht.
Schwer atmend fällt er auf die Knie, als der letzte Gegner fällt. Wischt sich den Schweiß aus der Stirn.
Erhebt sich, blickt auf, ins Gesicht eines blonden Engels. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, als er sie anspricht ist der Akku des Laptops leer.

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9 Kommentare zu “Schreibprozess

  1. Das kenne ich so gut… bei mir ist es meist kein leerer Akku, sondern jemand, der in aller Arglosigkeit meinem PC den Strom ausschaltet, weil das am selben Dingsda aufgeladene Smartphone 100 Prozent hat ^^

  2. ach, hach. warum sind Engel eigentlich immer blond? Heute morgen hatte ich übrigens einen ähnlich kalten Schluck Kaffee. Meine Mundwinkel verzog ich beim Lesen Deiner Geschichte nicht nur aus Solidarität. Es war blanke Erinnerung.
    Ich wünsche Dir für morgen Akku-unabhängige Musenküsse, allzeit inspirierend, mundwarmen Kaffee, Jungfern, Helden. Alles.
    Grüße von
    mea

    • Gute Frage… vielleicht sind meine literarischen Engel blond, weil mein persönlicher Engel alles andere als blond ist?

      Danke für die vielen Wünsche – grad allzeit Inspiration kann man immer brauchen! :)
      Wegen Akku-Laufzeit mach ich mir aber vorläufig keine Sorgen, weil ein Großteil der Tintenfleck-Texte zunächst noch per Hand entsteht ;)

      Gruß zurück!

  3. Was mir gut gefällt:
    – Die Kampfgeschichte ist sehr plastisch, ich konnte mich ausgezeichnet hineinversetzen.
    – Die Idee, den Kampf mit der Geschichte der Schreibsituation zu umrahmen und das plötzliche Unterbrechen der Fortsetzung im Moment, als der Engel gesichtet wird, ein – gewissermaßen – Koitus Interruptus bei Schreiber und Held. Toll.

    Was ich mir wünsche:
    – Der Übergang am Ende zurück in die Realität ist mir zu holprig, zu kurz. Da hätte ich mir vielleicht vorher noch ein Indiz gewünscht. (Vielleicht ein Piepen im Kopf des Helden während dem Kampf oder so. Vielleicht das Akkuproblem in zwei kurze Sätze gepackt: der Held fuhr hinauf, der Laptop herunter. Sein Akku war leer. – oder so.)
    – Dagegen find ich den Eingang in den Kampf, also den Übergang von der Realitätsgeschichte, fast zu lang: „Er griff in die Tasten. Ordnete Buchstabe an Buchstabe, Wort an Wort.“ – irgendwie redundant. Redundanz für eine so kleine Tätigkeit – ich weiß nicht. „Er griff in die Tasten.“ find ich sehr schön, den Rest eher nicht.

    Nun, mehr weiß ich gerade nicht. Danke für die Geschichte; insgesamt finde ich sie toll.

    • Danke für deinen Kommentar! :)

      Was den Übergang am Ende angeht: Leider ist die Aufmerksamkeitsspanne des durchschnittlichen Lesers im Internet sehr begrenzt. Ich hätte gerne eine etwas längere Kampfszene gehabt, aber das ist in dem Medium schwierig. Dadurch gibt es auch keine Vorankündigung des abrupten Endes, weil dafür der Platz fehlt – ein solches Indiz, wie etwa ein Piepen irgendwo im Kampfgetümmel, hätte man ja auch thematisieren müssen. Aber falls es mal eine Ausarbeitung oder Adaption für ein Buch gibt, werd ich darauf sicher zurückkommen.

      Beim Eingang in den Kampf müsste ich nochmal schauen… theoretisch ist es redundant, ja. Aber ich wollte auch etwas das Schriftstellern an sich beschreiben, es nicht nur mit einem „Er griff in die Tasten“ auf sich beruhen lassen… schließlich ist es ja doch eine komplexere Tätigkeit, die da behandelt wird.
      Ich werds mir durch den Kopf gehen lassen :)

      Nochmals danke für deinen Kommentar! Ich freue mich sehr, dass dir der Text gefällt!

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