Laura nippte vorsichtig an ihrem Kaffee und blätterte um. Sie warf jedoch nur einen kurzen Blick auf die Zeitung vor ihr: Irgendwo im nahen oder fernen Osten hatte es mal wieder geknallt, irgendein Land reicherte Uran an …
Von ihrem Platz vor dem Fenster aus hatte sie einen guten Blick auf das Haus gegenüber. Wachsam ließ sie ihre Augen von oben nach unten, von links nach rechts, von einer Ecke zur anderen und wieder zurück patrouillieren. Aber jedes der gegenüberliegenden Fenster war dunkel und abgesehen von einzelnen Topfpflanzen und einigen Weihnachtsstern-Fensterbildern auch leer.
Seltsam.
Sie hätte geschworen, ihn gesehen zu haben.
Hatte sie sich wirklich getäuscht?
Sie blätterte erneut eine Seite um, betrachtete mit gespieltem Interesse die Seite und beugte sich nach vorne, um sich mit den Ellbogen auf der Anrichte aufzustützen und einen besseren Blick auf den Artikel zu haben – und um selbst einen besseren Blick zu bieten….
Verstohlen sah sie auf.
Verflixt. Wieder nichts.
Sie richtete sich genervt wieder auf, klappte die Zeitung zu und pfefferte sie in den Zeitungsständer.
Vielleicht vom Bad aus?
Sie stürzte den letzten Rest ihres Kaffees hinunter und stellte die Schüssel in die Spüle.
Im selben Moment ging die Küchentür auf.
Laura wirbelte herum, bereit zu allem.
„Was ist denn mit dir los?“ Jochen sah sie erstaunt an.
„Ach, nichts. Ich schiebe nur meine täglichen Pflichten auf und starre aus dem Fenster….“
„Schau lieber zum Wohnzimmerfenster raus. Da hast du einen tollen Blick auf das Vogelhaus und die sich streitenden Spatzen.“
Laura winkte ab. „Ach, das Nachbarhaus ist auch ganz interessant.“
„Findest du?“ Jochen hob verwundert die Augenbrauen. „Ist nicht das schönste Haus, meiner Meinung nach. Könnte etwas Pflege vertragen…“
„Wer wohnt da eigentlich?“
„Eine Familie, wie du selbst im Bilderbuch keine mustergültigere finden würdest. Er ist Versicherungsvertreter, sie macht irgendetwas mit Immobilien. Haben zwei Kinder. Das Mädchen ist 18 und eine fürchterliche Autofahrerin – hat im Sommer erst den Führerschein gemacht und prompt den hauseigenen Gartenzaun erlegt.“
„Und der Junge?“
„Der ist um einiges jünger – zwölf oder dreizehn, schätz ich.“
Dreizehn, das würde passen. „Hat er zufällig braune Haare?“
Jochen nickte und lächelte. „Ja. Sag bloß, du bist ihm schon begegnet?“
Jetzt wissen wir, wer gegenüber wohnt.
Jup.