Zielgenau landet er auf der Kante. Die Wucht des Aufpralls kippt ihn nach vorne, zwingt ihn in die Knie. Seine Hand schießt nach unten, streicht über rauen Beton, hält sich fest, fängt ihn ab.
Langsam erhebt er sich, atmet tief ein und aus.
Vor ihm der Abgrund, die Häuserschlucht, in der das Leben der Stadt pulsiert, grell leuchtend. Über ihm der Himmel, dunkel, von Smog verhangen, jedwedes Lichtes beraubt, vom Glanz der Stadt überstrahlt.
Die Nacht ist kühl, lässt seinen Atem dampfen. Der Wind reißt an ihm, schneidend kalt, rötet seine Wangen, verfängt sich in seinem Cape, bläst es auf. Irgendwo schlägt eine Turmuhr dreimal.
Wachsam lässt er seinen Blick über die Straßen schweifen. Trotz der späten Stunde summt, brummt, hupt der Verkehr, pulsiert wie das Blut in verstopften Adern, Teilchen für Teilchen aneinander gekettet.
Inmitten der Lichterketten blitzt es blau auf. Er atmet tief ein, sein Herz macht einen Satz. Er streckt die Arme, reckt die Finger, lässt die Knöchel knacken. Schon erhebt es sich über der Stadt, das Heulen, wie jede Nacht. Während die Sirenen singen, sausen sie dahin, aus allen Ecken kommen sie gekrochen, blau blitzende Einsatzfahrzeuge. Manchmal mischt sich ihr Gesang mit dem dumpfen Knallen von Revolvern oder dem rhythmischen Rattern der Maschinenpistolen. Reifen pfeifen, Blech scheppert.
Er hält inne, schließt die Augen, hält den Atem an. Lauscht, lässt die Geräusche auf sich wirken, spürt ihnen nach, saugt sie in sich auf.
Eins, zwei, drei. Gleich ist es soweit.
Er wirbelt auf dem Absatz herum, der Abgrund greift nach ihm, er schlägt die Augen auf, blickt zum Himmel.
Da ist es.
Wie jede Nacht.
Wie der Blitz stößt er sich ab, schnellt nach vorne. Zerschneidet die Luft. Der Wind umschlingt ihn, versucht ihn zu halten, doch er ist schneller, weicht ihm aus, unterläuft ihn, lässt sich treiben. Unter seinen Absätzen knirscht das Kies der Dachterrassen, hallt das Holz der Balkone, klingt das Metall der Geländer. Wie ein Schatten rast er dahin, jagt das Heulen, das blaue Blitzen, zielgerichtet wie ein Pfeil.
Das Heulen wird lauter, dann verstummt es. Er springt über die letzte Dachkante, schwingt sich über eine Schlucht, hält inne. Unter ihm das blaue Blitzen, regungslos. Aufgeregte Rufe, Schüsse. Männer in Uniformen, Scheinwerfer. Sie umstellen einen Hauseingang, davor ein grüner Ford Mustang. Einschusslöcher überziehen ihn wie Sommersprossen. Die Türen sind weit aufgesperrt, der Wagen verlassen.
Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, er schwingt sich hinab, über die Köpfe der Schaulustigen hinweg. Federnd landet er in ihrer Mitte, taucht unter der hastig aufgestellten Absperrung hinweg.
Ein dicker Polizist will sich ihm in den Weg stellen, er ignoriert ihn.
„Wartet!“, will er ihnen zurufen, „Ich mache das schon.“
Im selben Moment erhebt sich Geschrei, Schüsse fallen im Gebäude, die Tür geht auf. Polizisten quellen heraus, in ihrer Mitte zwei Männer in abgerissener Kleidung, in Handschellen.
Ein alter Mann mit Brille und Trenchcoat stellt sich ihm in den Weg, schüttelt den Kopf. „Tut mir leid. Heute bist du zu spät.“
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Nicht Ironman
Sie brauchten ihn. Er wusste es – er spürte es, fühlte es, noch ehe er es hörte. Langsam trat er ans Fenster, schob es auf. Kalte Nachtluft schlug ihm entgegen. Erfrischend. Er atmete tief ein, ließ die Kälte der Nacht tief in seine Lunge strömen.
Da!
Dumpfer Knall in der Ferne. Einmal, zweimal. Der Widerhall in den Häuserschluchten potenzierte das Geräusch bis ins hundertfache, verbreitete es wie eine Seuche über der ganzen Stadt. Niemand konnte ihm entgehen.
Dreimal.
Drei Schüsse.
Vermischt mit der unverkennbaren Hochfrequenzwelle eines weiblichen Schreis.
Er atmete erneut tief ein, stützte sich schwer auf den Fenstersims und blickte in die Häuserschlucht hinab. Seit er nicht mehr über die Stadt wachte, hatten sie von Nacht zu Nacht zugenommen. Mehr Schüsse, mehr Schreie – das Böse schlief nie, und seit es seinen größten Widersacher verloren hatte, schlug es erbarmungslos zu. Die Stadt war endgültig in seinen herzlosen Würgegriff geraten.
Wie gerne hätte er sich wie sonst auch aus dem Fenster gestürzt und Jagd auf diese Bastarde gemacht… Er trat weg vom Fenster, goss sich ein Glas Scotch ein. Die Eiswürfeln schlugen klirrend gegeneinander, betrogen um das Schicksal des Schmelzens, als er das Glas sofort hinunterstürzte.
Er blickte erneut zum Fenster. Es stand bereits am Himmel – das Zeichen. Sie riefen ihn. Die Stadt brauchte ihn.
Doch was sollte er tun?
Sein Butler hatte letzte Woche gekündigt – und er hatte nie gelernt, sein Kostüm zu bügeln.