Kein Glück

„Was hältst du von denen da?“ Phil sah ihn bedeutungsvoll über den Rand seiner Sonnenbrille an, als würde er auf eine Antwort warten.
„Hm?“ Rob sah seinen Kumpel fragend an. Das Wummern des Basses direkt hinter ihm übertönte nicht nur das Geschrei und Gejohle der vielen Kinder am Strand und dieses Klingeln in der Ferne, das er nicht zuordnen konnte, sondern auch Phils Worte. Er langte mit dem Arm hinter den Liegestuhl und drehte den Lautstärkeregler des Ghettoblasters um einen Tick zurück. Gleichzeitig fischte er sich eine Dose Bier aus der Kühlbox.
„Was du von den Mädels hältst. Die da drüben.“ Phil deutete zur Strandbar, die etwa hundert Meter entfernt war. „Weißer Bikini.“
Das Bier zischte verheißungsvoll. Rob nahm einen langen Schluck. Sein Blick fiel auf zwei lange, braungebrannte Beine, ein Bauchnabelpiercing und ein viel zu knappes Bikinitop. „Nicht schlecht.“
„Ihre Freundin ist auch nicht ohne.“
„Stimmt.“ Neben der Versuchung in Weiß stand eine großgewachsene schwarze Schönheit in einem Bikini mit Blümchenmuster. Sie unterhielt sich angeregt mit ihrer Freundin, entblößte dabei ein zauberhaftes weißes Lächeln und spielte offenbar in aller Unschuld mit einem Ende der Schnur, das direkt zu einem der Knoten gehörte, der … Ein Beachvolleyball flog vorbei, nahm ihm die Sicht. Rob schluckte schwer und verfluchte innerlich die Kinder.
Dieses Geschrei – und dieses Klingeln, das irgendwie näher kam … Was war das nur?
„Wow, oder?“ Phil grinste ihn an. „Vielleicht sollten wir mal Hallo sagen?“
Rob zuckte mit den Achseln. „Warum nicht? Erproben wir unser Glück.“ Er leerte sein Bier in einem Zug, setzte seine verspiegelte Sonnenbrille auf, erhob sich und rieb sich am Ohr. Das Klingeln kam näher, wurde lauter. Er sah sich um, entdeckte nichts und fuhr sich mit den Händen durch die Haare.
Phil sah ihm zu, runzelte die Stirn und winkte ab. „Lass mal, bei dir ist da eh nichts mehr zu retten.“
„Depp.“
Phil grinste, gähnte und stand auf. „Dann wollen wir mal. Ganz locker.“
Bis zur Strandbar war es nicht weit. Die Liegestühle und Strandmatten waren nicht so gedrängt wie direkt am Wasser. Direkt vor der Bar verlief ein schmaler Streifen Asphalt für Radfahrer und Skater, der den Liegeplatz unattraktiv machte. Direkt dahinter der Stehtisch mit den Mädels.
Sie schlenderten locker dahin. „Was sagen wir eigentlich?“
Phil grinste und zog lässig einen Fünfziger aus den Taschen seiner Shorts. „Dass die Drinks auf mich gehen.“
„Guter Plan.“ Rob fuhr sich erneut durchs Haar. setzte seinen Fuß aufs Asphalt. Plötzlich war da wieder das Klingeln, gefolgt vom durchdringenden Ton einer Hupe. Eine solide weiße Wand krachte gegen seine Seite, hob ihn aus seinen Flipflops. Schmerz explodierte überall um ihn, dann wurde es nacht.
Heute hatte er kein Glück. Er wurde von einem Eiswagen überrollt.

 

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Dieser Text ist ein Beitrag  zur zehnten Rude des Projekts *.txt, bei dem Autoren 21 Tage haben, um zu einem gezogenen Wort einen Text zu verfassen. Mehr zum Projekt gibt es hier, das Wort der zehnten Runde war Glück.

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