„Vom Flughafen?“, hakte Laura nach, als Dorothea sich wieder beruhigt hatte. „Also kommen Sie… kommst du direkt aus Tibet? Oder war das mit Tibet auch erschwindelt?“, fügte sie mit einem Seitenblick auf die Kekse hinzu.
Dorothea fischte umständlich den Teebeutel aus ihrer Tasse und drückte ihn aus. „Nein, in Tibet war ich wirklich. Ich habe auch wirklich über die Morgenroutine seiner Heiligkeit geschrieben – das soll der Auftakt für eine neue Serie werden – Aufwachen mit den wichtigsten Männern unseres Jahrhunderts.“
„Wow. Klingt aufregend.“
„Ist es auch – und ungemein interessant und erstaunlich, was für Einblicke man kriegt. Die Serie wird sicher ein Hit, auch wenn ich noch nicht weiß, ob ich den Kuschelyeti seiner Heiligkeit wirklich erwähnen soll…“
Laura verschluckte sich beinahe an ihrem Keks. „Kuschelyeti?“
Dorothea nippte ungerührt an ihrem Tee und nahm sich einen weiteren Keks. „Scheußlich, diese Dinger… Ich glaube, ich werde sie an die Vögel verfüttern.“
Laura schüttelte energisch den Kopf. „Nein, das geht nicht.“
„Wieso nicht?“
„Das wäre Tierquälerei.“
Jetzt war es Dorothea, die sich an ihrem Keks verschluckte. Ihr Lachen ging in heftiges Husten über, sodass Laura beinahe ein schlechtes Gewissen bekam.
„Und wohin geht die Reise als nächstes?“ Sie tunkte einen der Kekse in den Tee – vielleicht war der Trockenheit so beizukommen…
„Das weiß ich noch nicht so genau – vielleicht nach Kuba. Aber über die Feiertage mache ich erst mal hier Station.“
Lauras Keks ging unbeobachtet auf Tauchstation. „Sie bleiben hier?“
Sie sah, wie Dorotheas Wangen sich etwas röteteten. „Entschuldige…. ich bin schon wieder mit der Tür ins Haus gefallen. Ich sollte Jochen Stubenarrest geben.“
Der Scherz trug nur mäßig zur Entschärfung der Situation bei. Stubenarrest wird ihn nicht mehr stören, wenn ich mit ihm fertig bin, dachte Laura. Sie umschloss ihre Tasse mit beiden Händen. Der Keks in ihrem Tee begann, sich langsam aufzulösen. Einzelne Krümel trieben an der Oberfläche wie kleine Rettungsboote.
Die Türklingel beendete schließlich das peinliche Schweigen. „Das ist bestimmt Jochen – er hat heute seinen Schlüssel zu Hause liegen lassen.“ Laura wies entschuldigend auf den Schlüsselbund und sauste zur Tür.
Jochen war gerade damit beschäftigt, sich Schnee von den Schuhen zu klopfen. Offenbar hatte er einen Umweg durch den verschneiten Garten genommen. Wusste der Geier, wieso.
„Deine Mutter ist hier.“, begrüßte ihn Laura.
„Dann hat sie ihren Flug ja doch noch erwischt!“ Ein strahlendes Lächeln nahm sein Gesicht ein. „Gestern meinte sie noch, es würde sich vielleicht nicht ausgehen.“ Er streifte schnell seinen Mantel ab und folgte dann Laura in die Küche.
„Mama!“
„Jochen!“ Dorothea stand freudig auf und umarmte ihren Sohn.
„Bleib doch sitzen… ich hole mir schnell eine Tasse. Du musst mir unbedingt erzählen, wie es beim Dalai Lama war!“
Dorothea winkte ab. „Später. Ich werde jetzt erst einmal auspacken und euch alleine lassen. Laura wartete schon sehnsüchtig auf dich.“
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Adventskalender 2014: Türchen 7
Laura runzelte die Stirn. „Ihr…Sohn?“ Lieber Gott, lass die Alte sich in der Tür geirrt haben…
„Ja.“ Die alte Frau nickte lächelnd. „Jochen ist mein Sohn.“
Vielen Dank, lieber Gott… Laura bemühte sich, zu lächeln.
„Jochen hat dir wirklich nichts von mir erzählt, oder?“ Die Alte seufzte, schüttelte den Kopf und ließ Lauras Hand nach einer halben Ewigkeit wieder los. „Wo hat der Bengel nur seine Manieren … und wo hab ich meine? Ich bin Dorothea. Freut mich, dich kennenzulernen.“
„Kommen Sie doch rein.“ Laura ging einen Schritt zur Seite und machte eine, wie sie hoffte, einladende Geste mit der Hand.
Dorothea ließ sich nicht zweimal bitten, sondern folgte Laura, stellte ihren Koffer in der Garderobe ab, zog Jacke und Schuhe aus und suchte sich wie selbstverständlich ein paar Hausschuhe aus dem Bestand für Gäste.
Laura sah ihr verdattert dabei zu.
Ein Koffer.
Wieso hat die Alte einen Koffer dabei?
Ganz ruhig, Laura. Vermutlich ist sie nur auf der Durchreise zur nächsten tollen Reportage im Ausland und das hier ist ein außerplanmäßiger Stopp, um sich zu verabschieden. Jochen hätte es doch erwähnt, wenn seine Mutter hier einziehen würde…
„Ach, tut das gut, nach einer so langen Fahrt wieder ins Warme zu kommen.“
Laura nickte verständnisvoll. „Möchten Sie einen Tee?“
„Ach ja, das wäre ganz toll.“ Dorothea lächelte. „Aber du musst mich nicht siezen. Dafür kennen wir uns wohl schon zu gut.“ Sie zwinkerte ihr zu.
Laura spürte, wie Hitze in ihre Wangen schoss.
„Lass mich den Tee kochen – ich weiß, wo alles ist. Dann kannst du dich in Ruhe anziehen. Wir treffen uns dann in der Küche.“
Laura nickte und sauste mit brennenden Wangen die Treppe hoch zum Schlafzimmer. Unten hörte sie Jochens Mutter mit dem Geschirr klappern. Sie schlüpfte schnell in Jeans und T-Shirt, sah kurz in den Spiegel und ordnete ihre Haare. Sie atmete tief ein. Du schaffst das, Laura.
Langsam stieg sie wieder die Treppe hinab und trat in die Küche. Der Wasserkocher war soeben fertig, Dorothea goss den Tee auf und stellte eine Schale mit Keksen auf den Tisch.
Laura setzte sich ratlos.
Eine Sekunde später stand vor ihr bereits eine dampfende Tasse samt darin schwimmendem Teebeutel. Dorothea nahm ihr gegenüber Platz und schnappte sich einen Keks.
„Die musst du unbedingt probieren – ich habe sie von meiner letzten Reise nach Tibet mitgebracht. Ich sollte dort eine Reportage über das Morgenritual des Dalai Lama schreiben…. Jedenfalls backen die Mönche dort diese Kekse nach einem 3000 Jahre alten Rezept und verwenden dazu nur Zutaten, die die Natur freiwillig gibt…“
Laura nahm vorsichtig einen Keks und knabberte daran. Er schmeckte nach gar nichts, war staub trocken und reizte sie im Hals. „Mm, schmeckt gut.“
„Im Ernst?“ Sie sah, wie Dorotheas Mundwinkel zuckten. „Ich hasse die Dinger. Aber ich wollte nicht mit leeren Händen kommen und sie hatten am Flughafen nur die….“ Die Mundwinkel gaben nach, und die alte Frau lachte.
Laura lachte mit.
Adventskalender 2014: Türchen 6
Nur mit einiger Mühe gelang es ihr, die Tür aufzuschließen. Beinahe hätte sie die Balance verloren und die schwere Papiertüte, die sie gegen ihre Brust presste, zu Boden fallen lassen. Ein leichter Schubs mit der Hüfte öffnete die Tür, ein sanfter Tritt schloss sie. Erleichtert stellte Laura die Einkaufstüte in der Garderobe ab, hängte ihre Jacke auf und quälte sich dann im Stehen aus ihren Stiefeln… Schließlich meisterte sie auch diese Herausforderung, hob die Tüte hoch und trug sie in die Küche, um die Einkäufe zu verstauen.
Neben allerlei Notwendigem hatte Laura es nicht lassen können, auch bei Mandarinen und Erdnüssen zuzugreifen – schließlich war heute Nikolaus, und auch wenn es eine Ewigkeit her war, dass der Nikolaus ihr bescheinigt hatte, ein gutes Kind zu sein, so gehörten diese Naschereien für sie doch dazu.
Mit einem Grinsen fand sie auf dem Boden der Tasche die rote Weihnachtsmütze.
Sie setzte sie kurz auf und sah auf die Uhr am Herd: Es war erst halb sechs, Jochen würde in einer halben Stunde heimkommen. Ob sie bereits zu Abend kochen sollte? Gedankenverloren ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen, fixierte den Kühlschrank, dann den Herd – vielleicht war das eher keine gute Idee…. da entdeckte sie einen kleinen silbernen Gegenstand auf der Anrichte, an dem ein kleiner Fußball hing: Jochens Schlüsselbund!
Sie runzelte die Stirn. Im Haus war alles ruhig, er war noch nicht heimgekommen. Sollte er ihn vergessen haben? Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht. Manchmal war er wirklich verpeilt…. Hastig setzte Laura die Mütze ab und ging ins Bad. Sie zog sich aus, warf ihre Bluse in die Wäsche und stellte sich unter die Dusche.
Sie stieß einen kurzen Schrei aus, als das unerwartet kalte Wasser sie traf – Tropfen um Tropfen schienen sich tausend kleine Nadeln in ihre Haut zu bohren. Bald wurde das Wasser wärmer – sie schloss die Augen, stellte sich ganz unter den Duschstrahl, schäumte sich ein, brauste sich ab und drehte den Hahn wieder zu. Kühle Luft schlug ihr entgegen, als sie die Duschkabine öffnete, zitternd stieg sie vorsichtig aus der Dusche, um nicht auszugleiten und angelte sich ein Handtuch. Da klingelte es an der Tür.
Jochen! Ihr Herz machte einen Hüpfer.
Hastig hängte sie das Handtuch auf, huschte in die Küche, schnappte sich die Mütze und hetzte zur Tür. Sie atmete einmal tief durch, griff nach der Klinke, drückte sie hinunter und zog die Tür auf.
„Überraschung!“, blieb es ihr im Halse stecken.
Vor ihr stand eine ältere Dame unbestimmbaren Alters, mit grauen Haaren und einer seit mindestens 30 Jahren nicht mehr modischen Hornbrille. Die Alte runzelte ob Lauras Anblick die Stirn und warf einen kurzen Blick zur Seite. Ob sie sich wohl im Haus geirrt hatte?
Dann hellte sich die Miene der Alten auf und ein Lächeln zerfurchte ihr faltiges Gesicht. „Du musst Laura sein!“, rief sie und streckte ihr eine Hand entgegen, die Laura mechanisch schüttelte.
„Ich habe schon viel von dir gehört … aber ich fürchte, mein Sohn hat nichts über meinen Besuch erzählt?“