Nicht Ironman

Sie brauchten ihn. Er wusste es – er spürte es, fühlte es, noch ehe er es hörte. Langsam trat er ans Fenster, schob es auf. Kalte Nachtluft schlug ihm entgegen. Erfrischend. Er atmete tief ein, ließ die Kälte der Nacht tief in seine Lunge strömen.
Da!
Dumpfer Knall in der Ferne. Einmal, zweimal. Der Widerhall in den Häuserschluchten potenzierte das Geräusch bis ins hundertfache, verbreitete es wie eine Seuche über der ganzen Stadt. Niemand konnte ihm entgehen.
Dreimal.
Drei Schüsse.
Vermischt mit der unverkennbaren Hochfrequenzwelle eines weiblichen Schreis.
Er atmete erneut tief ein, stützte sich schwer auf den Fenstersims und blickte in die Häuserschlucht hinab. Seit er nicht mehr über die Stadt wachte, hatten sie von Nacht zu Nacht zugenommen. Mehr Schüsse, mehr Schreie – das Böse schlief nie, und seit es seinen größten Widersacher verloren hatte, schlug es erbarmungslos zu. Die Stadt war endgültig in seinen herzlosen Würgegriff geraten.
Wie gerne hätte er sich wie sonst auch aus dem Fenster gestürzt und Jagd auf diese Bastarde gemacht… Er trat weg vom Fenster, goss sich ein Glas Scotch ein. Die Eiswürfeln schlugen klirrend gegeneinander, betrogen um das Schicksal des Schmelzens, als er das Glas sofort hinunterstürzte.
Er blickte erneut zum Fenster. Es stand bereits am Himmel – das Zeichen. Sie riefen ihn. Die Stadt brauchte ihn.
Doch was sollte er tun?
Sein Butler hatte letzte Woche gekündigt – und er hatte nie gelernt, sein Kostüm zu bügeln.

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Jeden Tag

jeden Tag
seh ich dich
am Fenster
im Dachgeschoss
stehn

seh ich dich
dort sitzen,
und lernen,
und lesen
und gehen

jeden Tag
seh ich hoch
mich fragend
ob ich sollt
rübergehn

ring mit
mir selber
wir würden
uns sicher
verstehen

eines Tages
seh ich dich
da am Fenster
vor Wärme will
das Herz mir
vergehn

doch da
ein Schatten
er küsst
deinen Hals
mein Herz
bleibt stehn