Alea iacta est

Fred hob widerwillig den Kopf und sah in Monas tiefe blaue Augen.
Sie wich ihm nicht aus, blinzelte nicht, sondern hielt seinem Blick ruhig und gelassen stand.
Keine Spur von Furcht lag in ihnen, keine Verzweiflung. Ihr Gesicht war gleichzeitig milchweiß und rosa, wurde eingerahmt von goldenen Locken und ihr Mund schien ihm wie die zarteste Versuchung, seit es Schokolade gab, und doch – was hatte er für eine Wahl?
Mona verzog keine Miene, ließ sich nicht anmerken, ob sie wusste, was er wusste. Wie gerne hätte er geleugnet, sich verstellt. Doch er musste eisern bleiben. Die Tatsachen lagen vor ihm auf dem Tisch, es gab kein Zurück. Der Würfel war gefallen.
Mona würde ihm nicht den Gefallen tun, um Gnade zu betteln, und doch wünschte er es sich, wissend, dass auch dies ihm keinen Ausweg bieten würde.
Fred schüttelte unweigerlich den Kopf.
Mona blieb stumm, doch ihre blauen Perlenaugen folgten der Bewegung, beobachteten jede Regung, jedes Zucken seiner Mundwinkel.
Er versuchte, sich zu räuspern, doch es blieb ihm im Halse stecken. Er senkte den Blick, hob ihn wieder. Blinzelte.
Würde sie an seiner Stelle nicht genauso handeln?
Langsam hob er seine Hand, langte über den Tisch, ergriff seine Spielfigur, zog fünf Felder nach vorne und kickte Monas Figur vom Spielfeld – nur knapp 3 Felder vor dem schützenden Haus. „Ätsch, gekickt. Du musst zurück zum Anfang!“

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Latein

Dumpfes Donnergrollen rollte aus der Ferne heran.
Andreas beobachtete den Himmel schon seit Stunden. Immer mehr und immer dunklere Wolken türmten sich am Horizont auf. Bald war es soweit, das Gewitter würde ihn erreichen.
Schwerfällig erhob er sich aus seinem Campingstuhl, leerte seine Bierflasche und begann, seine sieben Sachen zusammenzupacken. Typisch – da hatte er einmal frei, konnte einen Tag beim Angeln verbringen und dann zog ein Gewitter auf…
Er stellte den Koffer mit Ködern und Blinkern in den Kofferraum, legte den zusammengeklappten Stuhl dazu und trat ein letztes Mal an den See. Er nahm seine Angelrute aus der Profi-Halterung, die er im Angelladen preisgünstig erstanden hatte, und begann, gemächlich die Leine aufzukurblen. Das Wasser lag noch ruhig da, unbeeindruckt vom aufkommenden Wind. Nur hier und da breiteten sich spiralförmig ein paar Wellen aus, wenn ein Insekt sich auf die Wasseroberfläche verirrte und ein Fisch gnadenlos zuschlug.
Ein plötzlicher Ruck an der Rute hätte ihn beinahe vornüber kippen lassen. Die Leine spannte sich, die Kurbel entglitt seinem Griff. Beinahe rutschte ihm die Angel aus der Hand. Andreas schrie überrascht auf, sah hilflos zu, wie sich die Leine in Windeseile wieder abspulte. Dann erinnerte er sich an den Artikel aus seinem Lieblingsanglermagazin und mit einigen fachmännischen Handgriffen brachte er die Kurbel wieder unter Kontrolle.
Die Angel bog sich, die Leine schien zum Zerreißen gespannt.
Andreas stemmte sich mit aller Kraft dagegen, begann Zentimeter um Zentimeter die Leine einzuholen.
Das Untier am anderen Ende wehrte sich nach Kräften, es zog und zerrte, schlug energisch mit der Schwanzflosse. Riesige Wellen rasten über die eben noch ruhige Oberfläche des Sees, schlugen gegen Andreas‘ Stiefel. Wasser drang über den Rand, tränkte seine Socken.
Sein Atem raste, seine Arme brannten, jeden Moment würde ihm das Tier die Angel samt Schultern ausreißen. Doch er gab nicht auf. Andreas stemmte sich erneut dagegen, und mit einer ungeheuren Kraftanstrengung zog er den fünfzehn Meter langen Karpfen an Land. Ratlos starrte er auf den großen Brocken und verfluchte sich, in der Schule kein Latein belegt zu haben – denn wie sollte er nun seinen Angelkollegen von diesem Fang erzählen?