Adventskalender 2014: Türchen 5

Murrend schlug Laura die Augen auf und tastete im Dunkeln nach dem Wecker, der sie so unverfroren aus ihren Träumen gerissen hatte. Mit mehr Schwung als nötig brachte sie ihn zum Schweigen. Ihr Blick fiel auf das unverhängte Fenster. Draußen hatte noch nicht einmal der ewige Kampf zwischen Nacht und Dämmerung begonnen – keine ersten Lichtstrahlen, kein Vogelzwitschern, kein Morgenrot. Alles, was sie erblickte, waren die Umrisse eines kahlen Baumes. Der Schnee auf seinen Ästen sah im Licht der nahen Straßenlaterne aus, als hätte eine Eichhörnchenschwadron jeden Zentimeter davon bepinkelt.
Laura war ein Morgenmuffel – sie hasste das Aufstehen. Aber noch mehr hasste sie es im Winter, wenn die ganze Welt noch schlief….
Sie drehte sich um und kuschelte sich an Jochens nackte Brust.
Er küsste sie sanft auf die Stirn. „Guten Morgen.“
„Morgen…“
„Das war dein Wecker.“
„Ich weiß.“ Sie schloss demonstrativ die Augen.
„Du wirst wieder einschlafen“, mahnte er.
„Du könntest mir ja eine Geschichte erzählen, damit ich zuhören muss.“ Ein Brusthaar kitzelte sie an der Nase. Sie rutschte etwas hin und her.
„Als ob das klappen würde…“ Er grinste – sie konnte es an seiner Stimme hören. „Außerdem: Was sollte ich dir schon groß erzählen?“
„Hmm. Was weiß ich … Wie kommst du eigentlich an so eine riesige Hütte?“ Sie fragte sich das schon lange. Ihr war klar, dass ihr Verdienst Peanuts sein mussten im Vergleich zu Jochens Einkommen, aber dennoch: Für einen Single war Jochens Domizil doch eine Spur zu groß.
„Das ist keine großartige Geschichte.“
„Erzähl sie mir trotzdem. Du kannst sie ja notfalls mit einem Kampf gegen einen Drachen ausschmücken.“
Er lachte.
Sie spürte, wie sein Brustkorb davon erbebte.
„Also gut.“ Er atmete tief ein und schweig einen Moment, ehe er begann. „Es war einmal ein Mann, der zog aus, um eine Prinzessin vor einem Drachen zu retten. Der Drache an sich war für ihn kein Problem, schließlich war er ein gestandener Held und hatte schon viele Bestien erlegt. Aber der Vater seiner zukünftigen Braut bestand darauf, dass er seiner Tochter ein sicheres Heim bieten müsse. So schloss er sich dreizehn Zwergen an und zog mit ihnen zum Einsamen Berg, um dort einen sagenhaften Schatz zu bergen. Am Ende dieses Weges besiegte er erneut einen Drachen, erbeutete den Schatz und kaufte sich von seinem Anteil dieses Haus, in dem er glücklich und zufrieden mit seiner neuen Frau zusammen lebte und eine Tochter großzog, die leider eine einer Prinzessin völlig unwürdige Laufbahn einbog: Sie wurde Journalistin, nahm eine Stelle beim National Geographic an und erlebte Abenteuer auf der ganzen Welt. Als der Mann und seine Frau starben, erbte sie das Haus, hatte dafür aber keine Verwendung, weil sie nie zu Hause war. So überschrieb sie es ihrem Sohn, auf dass er an ihrer Stelle in diesem Reich regiere. Und wenn er nicht gestorben ist, so regiert er da noch heute.“ Er schwieg. Sie konnte spüren, wie er seinen Kopf drehte und sie ansah. „Laura? Bist du eingeschlafen?“
Widerwillig schlug sie die Augen auf. „Du bist ein lausiger Geschichtenerzähler. Wie soll man da nicht einschlafen?“
„Aha?“
„Ja.“ Sie legte eine Hand auf seine Brust und ließ sie langsam nach unten gleiten. „Halt mich besser anders wach….“

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Gastbeitrag: Die drei kleinen Würstchen

Es war einmal ein Würstchenglas, in dem waren drei Würstchen. Als der Besitzer des Würstchenglases Hunger hatte, sagte es zu den drei kleinen Würstchen:
„Hört, ihr musst in die große weite Welt gehen und euch eine Tarnung besorgen, denn hier in dem Glas ist es viel zu gefährlich.“
Und so gingen die drei kleinen Würstchen hinaus in den Vorratsschrank.
Das erste Würstchen tarnte sich mit Mayonaise.
Der Besitzer kam an den Vorratsschrank und sah das leere Würstchenglas und ihm wurde klar, dass sich die drei kleinen Würstchen vor ihm versteckt hatten.
Er rief in den Vorratsschrank hinein.
„Ihr Würstchen, wo seid ihr?“
Da rief das Würstchen, das mit Mayonaise getarnt war:
„Du wirst mich nicht essen. Ich bin voller Mayonaise. Ich bin ungenießbar.“
Da packte der Besitzer das Würstchen und sagte:
„Dann esse ich die ganze Mayonaise herunter, bis ich an dein Fleisch komme.“
Und dann aß ganze Mayonaise von dem kleinen Würstchen ab und aß das Würstchen auf.

Das zweite Würstchen tarnte sich mit Senf.
Der Besitzer hatte Hunger auf noch ein Würstchen und sah in den Vorratsschrank.
„Ihr Würstchen, wo seid ihr?“
Da rief das zweite Würstchen.
„Du wirst mich nicht essen. Ich bin voller Senf. Ich bin ungenießbar.“
Der Besitzer packte wieder das Würstchen und sagte:
„Dann esse ich den ganzen Senf herunter, bis ich an dein Fleisch komme.“
Und dann aß er den ganzen Senf von dem kleinen Würstchen ab und aß das Würstchen auf.

Das dritte Würstchen tarnte sich mit Ketchup.
Abermals hatte der Besitzer Hunger und sah in den Vorratsschrank.
„Ihr Würstchen, wo seid ihr?“
Das dritte Würstchen rief wieder:
„Du wirst mich nicht essen. Ich bin voller Ketchup. Ich bin ungenießbar.“
Und auch hier packte der Besitzer das Würstchen und sagte:
„Dann esse ich das ganze Ketchup herunter, bis ich an dein Fleisch komme.“
Und er aß den Belag ab, wie bei den Würstchen zuvor. Doch plötzlich wurde der Besitzer rot. Sein Hals schwoll an und er warf das Würstchen auf den Boden. Er griff sich an den Hals und keuchte: „Tomatenallergie.“
Er fiel zu Boden und wurde nie mehr gesehen.
Das Würstchen rette sich ganz schnell wieder in das Würstchenglas und blieb fortan verschont. Und wenn es nicht schimmelig geworden ist, dann lebt es noch heute.

 

Dieser Gastbeitrag stammt von der famosen cazze. Wer mehr von cazze lesen will, folgt ihr am besten auf Twitter.

(Hinweis:  Bei obigem Text handelt es sich um einen Gastbeitrag. Alle Rechte am Text liegen bei der Autorin)

Anti-Märchen

Es war einmal ein Kind mit Eltern, die es furchtbar liebten. Sie sollten ihm weder ans Leder, weil sie auf sein Erbe scharf waren, noch setzten sie es im Wald aus, sondern sie waren immer für es da. Sie umsorgten es, halfen ihm bei den Schulaufgaben und lasen ihm jeden Wunsch von den Augen ab.

Sicher, manchmal mussten sie auch streng sein, aber sie griffen nie zu übertriebenen Bestrafungen wie ihr Kind mit Pech zu übergießen oder es in einen Turm zu sperren. Und wenn einmal Not am Mann war, so meisterten sie ihre Probleme alleine, ohne die Hilfe irgendwelcher magischer Wesen in Anspruch zu nehmen und mit ihnen Verträge mit horrenden Klauseln abzuschließen.

Und wenn das Kind nicht gestorben ist, so lebt es wohl noch heute.