Adventskalender 2014: Türchen 20

Kaum war Jochen im Bad verschwunden, als auch schon das leise Plätschern der Dusche durch die Wand zu ihr drang. Laura grinste und ließ sich ins Kissen zurück sinken. Schade, dass Jochens Dusche so klein ist… Draußen schien die Sonne und durchs gekippte Fenster hörte sie die Vögel zwitschern und um das Futter am Vogelhaus streiten. Ein herrlicher Samstagmorgen.
In diesem Moment klingelte es an der Tür.
Laura drehte sich mürrisch um und warf einen Blick auf den Wecker. Halb elf… Wer mochte das sein? Würde er später wiederkommen?
Sie beantwortete die Frage für sich selbst mit einem großen Ja und angelte sich ihr Handy vom Nachtisch. Ein wenig surfen, sich die Zeit vertreiben…
Wieder klingelte es an der Tür. Gleich drei Mal in schneller Folge. Der Störenfried war hartnäckig.
Laura erhob sich ärgerlich, zog sich einen Bademantel über und trippelte vorsichtig die Treppe hinunter zur Tür.
„Einen schönen guten Morgen!“, grüßte Elisa mit fröhlichem Grinsen, als Laura ihr die Tür aufzog.
„Morgen…“ Kalte Luft strich sofort über Lauras Zehen und wanderte ihre Waden hinauf. Gänsehaut überzog ihren Körper.
„Oh.“ Als Elisas Blick auf Lauras Bademantel fiel, verfinsterte sich ihre Miene. „Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt.“
Laura setzte soeben zu einer Antwort an, als Elisa fortfuhr: „Entschuldigen Sie vielmals. Es ist eben schon halb elf, da dachte ich, Sie wären sicher längst aufgestanden und würden nicht mehr schlafen. Mein Mann und ich, müssen Sie wissen, sind keine Langschläfer“, fügte sie hinzu, „Man hat ja nur am Wochenende mal wirklich Zeit für sich selbst, das muss man doch ausnutzen!“
Laura wünschte bereits, sie hätte die Tür nicht geöffnet. Sie nickte. „Ja, das muss man natürlich.“
„Eben, Zeit ist doch ein sehr rares Gut! Und wenn man das ganze Wochenende nur in den Federn liegt, dann ist sie ja wirklich vergeudet… Nein, nein, das kommt bei uns Müllers nicht vor. Denken Sie nur, heute früh ist mein Mann schon um sieben Brötchen holen gegangen. Eine halbe Stunde später gab es bereits Frühstück für die ganze Familie. Da machen wir nämlich keine Ausnahmen, wissen Sie. An Mahlzeiten haben alle teilzunehmen, auch die Kinder.“
„Mhm.“
„Ich hole dann auch immer die Zeitung gleich rein. Mein Mann macht sich sofort über das Kreuzworträtsel her und die ganze Familie rätselt mit, wissen Sie.“
Lauras Blick glitt unwillkürlich zur Zeitungsrolle neben der Tür, wo die Samstagszeitung noch ungeniert und unberührt in der Sonne badete.
Elisas Blick schien ihrem gefolgt zu werden. „Oh. Es tut mir echt leid, Sie geweckt zu haben. Wenn ich gewusst hätte, dass Sie noch schlafen…“
„Keine Sorge, wir waren längst wach…“
„Ach so, gut.“ Elisa stockte. Täuschte Laura sich, oder wurde sie rot? „Nun, zwei junge Menschen wie Sie…. am Wochenende, ja, hm… Wissen Sie, ich wollte nur…“
„Ja?“
„Die Sache ist die, ich wollte einen Kuchen backen, aber ich hatte kein Mehl mehr. Ich wollte Sie fragen, ob… Aber ich wollte Sie nicht stören. Ich frage einfach drüben bei Schmidts nach.“
„In Ordnung.“
Elisa drehte sich um und stolzierte davon.
Laura schloss mit einem Seufzer die Tür. Nachbarn…

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Adventskalender 2014: Türchen 17

Eisern klammerten sich ihre Finger um den Tassengriff. Sie wirbelte herum. Lauwarmer Tee schwappte über den Rand, auf Hand, Boden und Bluse.
Vor ihr stand Jochen.
„Ach du bist es.“
„Wer denn sonst?“ Er sah verwirrt aus. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.“
Sie winkte ab. „Ich war nur in Gedanken…“
„Gedanken? Woran denn?“
„Nichts.“ Sie drehte sich wieder zum Fenster um, zum Vogelhaus. „Nur die Vögel…“
Jochen trat hinter sie. Sein warmer Atem streifte ihren Nacken, seine Arme umschlangen sie zärtlich. Schwer legte er seinen Kopf auf ihre Schulter. „Die sind aber auch immer wieder ein toller Anblick.“ Während er sprach, kitzelte es an ihrem Ohr.
Sie schwiegen, blickten stumm zum Fenster hinaus. Sahen, wie der Gimpel sich mit einem übermütigen Finken um das Futter stritt und wie beide sich dann gegen eine Horde Spatzen verbündeten. Laura nippte an ihrem Tee, genoss Jochens Umarmung, seine Wärme. Kurz glaubte sie, seinen Herzschlag zu spüren, doch war das angesichts seines dicken Strichkpullovers wohl nur Einbildung.
„Was hast du da?“ Erneut riss Jochen sie aus ihren Gedanken.
„Was meinst du?“ Erst jetzt wurde Laura bewusst, dass sie in der anderen Hand eine kleine Visitenkarte hielt und sie gedankenverloren drehte und wendete. „Elisa Müller, Immobilenmaklerin“ stand auf der Vorderseite, flankiert von Kontaktdaten und einem wenig vertrauenerweckenden Porträt. Der wagemutig-plagiierte Slogan auf der Rückseite machte es nicht besser. „Wohnen Sie noch oder verkaufen Sie schon?“
„Ach das.“ Laura zeigte ihm die Karte. „Ich bin heut deiner Nachbarin begegnet.“
„Elisa?“ Jochen löste seine Umarmung. Laura drehte sich langsam zu ihm um – doch er hatte sich nur gierig der Kekspackung gewidmet, die er augenscheinlich mit ins Zimmer gebrach hatte.
„Ja. Sie hat mich auf dem Nachhauseweg von der Straßenbahn eingeholt und… naja, zugequatscht.“
Jochen steckte sich einen Schokokeks in den Mund. „Womit denn?“, fragte er kauend.
„Sie hat erzählt, dass sie sich freut, dass ein so charmanter junger Mann wie du endlich eine Frau gefunden hat.“
„Aha?“
„Ja. Sie dachte, wir seien verheiratet. Und hat gefragt, ob ich dir heut noch was kochen muss.“
Jochen prustete. Kekskrümel rieselten auf den Teppich. „Das darfst du dir nicht zu Herzen nehmen.“
„Nein?“
„Nein. Als ich vor ein paar Jahren ein vollständiges Iron-Man-Kostüm in der Straßenbahn transportiert habe, machte es monatelang die Runde, ich würde heimlich Roboter bauen und sei gefährlich.“ Er zuckte mit den Achseln. „Dabei war nur mein Auto in der Werkstatt.“

Adventskalender 2014: Türchen 15

Langsam kam die Straßenbahn zum Stehen. Laura erhob sich schwerfällig von ihrem Platz, schulterte ihre große Umhängetasche und stieg aus. Erleichtert sog sie die frische Luft ein und warf einen kurzen Blick zum Himmel, an dem schon die ersten Sternlein prangten.
Jochen wohnte echt ziemlich weit draußen. Sicher, die Gegend war ruhig und beschaulich, aber mit der Straßenbahn brauchte sie doch fast eine ganze Stunde vom Stadtzentrum bis hierher.
Und dann war sie noch nicht einmal zu Hause, sondern hatte noch einen kleinen Fußmarsch vor sich.
Da lob ich mir doch das Stadtleben… Sie seufzte ergeben und sog noch einmal die frische Luft ein, ehe sie losging. Wenigstens die war hier besser.
Es waren nicht viele Leute aus der Straßenbahn ausgestiegen – wer etwas auf sich hielt, fuhr hier mit dem Auto – und so zerstreute sich die kleine Traube an Fahrgästen schnell.
Laura stapfte anfangs lustlos drauf los, war aber bald froh, sich nach der langen Fahrt ein wenig die Beine zu vertreten. Sie legte einen schnellen, federnden Schritt an den Tag. Unter ihren Füßen raschelten kleine Laubreste, ihr Blick glitt unwillkürlich nach oben zu den dunklen kahlen Silhouetten, die die Straße säumten.
Mitte Dezember und noch kein Schnee. Einerseits praktisch, da so das winterliche Verkehrschaos ausblieb. Aber dennoch fehlte so etwas.
Hinter ihr raschelte es im Laub – Laura fuhr unwillkürlich zusammen. War ihr jemand gefolgt? Ihre Finger umklammerten den Schlüsselbund in der Jackentasche. Mit klopfendem Herzen sah sie sich um.
Direkt hinter ihr stand eine Frau mittleren Alters mit hochgesteckten, braunen Haaren, die Laura verdattert ansah. Sie war in einen dicken Pelzmantel gehüllt, der aber nur mäßig verhüllte, dass die Besitzerin eindeutig ein paar Pfunde zu viel auf die Waage brachte.
„Oh, hallo“, grüßte Laura verlegen.
„Guten Abend“, grüßte die Frau zurück, „verzeihen Sie, wenn ich Sie erschreckt habe. Ich hätte mich nicht so anschleichen sollen. Ich wollte nur aufschließen und ein Pläuschchen halten.“
„Ach so“, machte Laura und nickte auf jene ganz bestimmte Art, auf die nur jemand nicken kann, der keinerlei Ahnung hat, was gerade vorgeht. Sie ging langsam weiter.
„Ja“, bekräftigte die Frau im Plauderton und hielt Schritt, „wo wir doch gemeinsam aus der Straßenbahn gestiegen sind und den gleichen Weg haben. Aber Sie waren mir einfach zu schnell – was Sie für ein Tempo vorlegen! Aber ich kann verstehen, dass Sie es eilig haben. Müssen Sie für ihren Mann noch etwas kochen? Ich habe heute morgen schon vorgekocht…“
„Für meinen Mann?“
„Ja, für Jochen. Ich muss sagen, es ist gut, dass er endlich eine Frau gefunden hat. So ein charmanter Mann wie er, so lange alleine…“
„Wir sind nicht verheiratet.“
„Oh.“ Die Frau sah tatsächlich betroffen aus. „Entschuldigung, wie dumm von mir. Mein Mann sagt immer: ‚Elisa‘, sagt er, ‚du sollst nicht alles glauben, was die Leute erzählen‘, sagt er.“ Sie lachte.
Laura lächelte verlegen.
„Ich wollte eigentlich längst einmal vorbeikommen und Sie in der Nachbarschaft begrüßen. Wo man doch beinahe Tür an Tür lebt. Aber man hat ja so wenig Zeit vor Weihnachten für solche zwischenmenschlichen Dinge… Oh, da sind wir ja schon.“
Tatsächlich standen sie bereits vor Jochens Haus.
„Hier, nehmen Sie meine Karte. Wir müssen uns unbedingt mal auf Kaffee und Kuchen verabreden. Hat mich sehr gefreut.“
„Mich ebenfalls.“
Laura sah Elisa nur kurz hinterher, ehe sie zur Haustür hetzte. Genug Begegnungen für einen Tag…