„Nummaswai!“ Die Stimme der kleinen Chinesin ging Laura durch Mark und Bein. Gerade einmal eins-fünfzig groß und kaum hinter dem Tresen zu sehen, machte sie dies durch Lautstärke mehr als wett. Sie knallte die beiden Nudelboxen achtlos auf den Tresen, nahm die Bestellung eines Kunden entgegen und gab gleichzeitig einem anderen sein Rückgeld.
Ein Anzugträger mit zurückgegeltem Haar trat wagemutig nach vorn und schnappte sich die Boxen, sichtlich erfreut, der duftend-dampfenden Hölle des Schnellimbissstandes zu entkommen.
Laura sah ihm neidisch hinterher und trippelte nervös von einem Fuß auf den anderen. Hätte sie doch nur diese seltsame Knobelvariante mit Spock und Echse mitgespielt, anstatt sich schon nach der Regelerläuterung gegen ihre Bürokollegin Wendy geschlagen zu geben… So war es heute an ihr, für das gemeinsame Mittagessen zu sorgen.
„Nummains!“ Wieder wurden zwei Boxen auf den Tresen geknallt. Laura beäugte sie misstrauisch. Als sich keiner der Wartenden rührte, zuckte sie hilflos mit den Schultern, trat vor und griff nach der Box – nur um eine schnellere Hand zu ergreifen, zu der ein strubbeliger, schwarzer Haarschopf und mandelbraune Augen gehörten.
Ihre Blicke trafen sich, ihr Konkurrent um die Nudeln zuckte erschrocken zurück und nur um Haaresbreite konnte Laura die beiden Boxen auffangen.
„Entschuldigung“, setzte sie an, aber verstummte. Diese Augen… die hatte sie schon gesehen. Und nicht nur sie… Sie spürte, wie Hitze in ihr aufstieg, gefolgt von der Erinnerung an diese Nacht…
„Nummains!“, beendete die Chinesin den peinlichen Moment, zwei weitere Nudelboxen landeten auf dem Tresen, gierig belauert von der Kundschaft.
„Das sind dann wohl deine“, bemerkte Laura, als er keine Reaktion zeigte.
Er blinzelte verwirrt, sah die Boxen. „Oh, ja. Danke.“
Laura schenkte ihm ein Lächeln, verließ den Laden und sah auf die Uhr. Noch dreißig Minuten Mittagspause, immerhin. Hoffentlich war das auch wirklich ihre Bestellung… Sie stellte sich an die Ampel, atmete tief die frische Luft ein.
„Warte!“
Sie drehte sich überrascht um. Vor ihr stand ihre letzte Eroberung und kratzte sich verlegen hinterm Ohr.
„Du bist…“, setzte er an.
Sie nickte.
„Und wir…“
„Jaaaa.“
„Und ich bin einfach…“
„Mhmmm…“
„Tut mir echt verdammt leid…“ Er streckte ihr die Hand hin. „Ich bin Jochen. Und ich fürchte, ich weiß deinen Namen nicht mehr.“
„Laura.“ Einen absurden Moment lang schüttelte sie ihm die Hand.
„Wäre schön, wenn wir uns wiedersehen könnten, Laura.“ Wieder kratzte er sich hinterm Ohr, dann glitt sein Blick in die Ferne. „Mist, mein Bus. Hier ist meine Karte.“ Weg war er.
Laura sah ihm verwirrt hinter her – bis eben dachte sie noch, die Chinesin wäre schwer zu verstehen…