7. Freunde sind unsere Felsen (Jery Schober)

Tirranar wusste sofort, dass etwas nicht stimmte, als er sich an den Tisch setzte.
Berit hatte gekocht, und es war keine Katastrophe.
Er musterte das Fleisch und Gemüse auf seinem Teller, nichts davon angebrannt oder roh. Nicht einmal das Fladenbrot wies schwarze Stellen auf. Dazu Servietten, Gläser ohne Sprung und ein Tonkrug mit Blumen. Er schnitt misstrauisch ein Stück Rinderlende ab. Außen knusprig, innen rosa, mit Salz und sogar Pfeffer gewürzt.
Die Wunder heute nahmen kein Ende.
Der Elf betrachtete Berit, der Karotten aufspießte und nahezu fröhlich wirkte.
Etwas stimmte ganz eindeutig nicht.
„Was ist hier los?“ Tirranar deutete auf das Essen.
„Darf ich nicht einmal etwas kochen, was über Spiegeleier oder Haferbrei hinausgeht?“ Er lächelte unschuldig.
„Du hast selbst bei diesen Gerichten versagt.“
„Traust du mir nicht zu, dass ich kochen gelernt habe?“
„Nein.“ In dem Jahr, in dem sie sich eine Wohnung teilten, hatte Tirranar das Kochen übernommen, weil der Kleine darin ein Totalversager war. Er durfte fertige Gerichte von einer Taverne besorgen, mehr nicht.
„Na gut, ich hatte Hilfe.“
„Gundi?“ Das Mädchen aus der Wohnung unter ihnen hatte ein Auge auf Berit geworfen. Was dieser anscheinend noch nicht mitbekommen hatte.
Er schüttelte den Kopf. „Kells Hofstube. Sie liefern auch.“
Kell war eines der teuersten Lokale Isilpors. „Das erklärt die Qualität des Essens. Aber nicht, warum du so viel Geld ausgibst.“ Das Budget, das Tirranar ihm fürs Abendessen zur Verfügung stellte, reichte auf keinen Fall, um das hier zu bezahlen.
„Es ist mein Geld, nicht deines.“
„Warum der Aufwand?“
Berit zuckte mit den Schultern. „So halt.“
„Das ist keine Antwort.“
„Es ist eine Antwort, nur keine, die dich zufrieden stellt.“
Tirranar verdrehte die Augen und schob sich ein Stück Fladenbrot in den Mund. „Red schon. Feiern wir irgendwas?“
„Irgendwie schon.“ Berit wich seinem Blick aus.
„Sag mir nicht, dass du zum Dieb des Jahres gewählt wurdest.“
„So was gibt’s?“
„Ich glaube nicht. Untersteh dich, so eine Wahl anzuregen und dich gleich zum ersten Kandidaten aufzustellen.“
Sie aßen schweigend weiter. Tirranar gab ihm Zeit, bis sie fertig waren. Dann faltete er die Hände im Versuch, geduldig zu wirken. „Ich warte.“
„Worauf?“ Berits unschuldiger Gesichtsausdruck wirkte erstaunlich überzeugend.
„Spuck es aus, bevor ich dich mit dem Kopf voran aus dem Fenster hänge, bis dir einfällt, was wir hier feiern.“
Berit legte seine Serviette beiseite. „Ich habe Geburtstag.“
Das war es? Keine Feier zu Berits zehntem Einbruch oder dem geglückten Diebstahl einer Schmuckschatulle? „Gratuliere.“
Berit sprang auf, holte ein flaches, in Papier eingeschlagenes Paket aus seinem Zimmer und legte es auf den Tisch. „Da.“
„Was ist das?“
„Ein Geschenk.“
Irgendwann würden Tirranars Augen in seinem Hinterkopf steckenbleiben, wenn er sie weiterhin so oft verdrehte. „Soweit ich weiß, ist es in Ilaria üblich, dass das Geburtstagskind beschenkt wird.“
„Bei euch Elfen ist es umgekehrt.“
„Wir beschenken an unserem Geburtstag nur die engste Familie. Diejenigen, die uns aufgezogen und ein Heim gegeben haben. Die uns unsere Zukunft ermöglichen. Wieso bekomme ich …“ Er hörte auf zu reden, als er Berit ins Gesicht sah. Die Wangen des Jungen waren leuchtend rot, und er mied den Blick des Elfen.
Tirranar wickelte das Paket aus. Ein Gemälde, so groß wie seine Hand, steckte in einem dunklen Holzrahmen. Es zeigte ein schwarzes Pferd – lange Beine, kurzer Rücken, wallende Mähne. Ein rosa Fleck zwischen den Nüstern. „Das ist Kitty.“ Er starrte mit offenem Mund auf das Bild.
„Der Maler hat sie nach meiner Beschreibung gut getroffen, nicht?“
Tirranar blinzelte heftig. Seine Stute, die er vor ein paar Monaten verloren hatte. Es tat immer noch verdammt weh.
Irgendwo in seiner Kehle steckte ein Knoten, den er hinunterspülen musste. „Hast du Wein besorgt?“
Berit stellte eine Flasche auf den Tisch. „Krieg ich auch was?“
„Nein. Ich will dich nicht wieder die halbe Nacht kotzen hören.“
„Nur ein Glas. Weil ich Geburtstag habe.“
„Ein halbes.“ Nach einem Räuspern sah er zu Berit. „Was wünscht du dir? Nach ilarischer Sitte muss ich dir wohl ein Geschenk machen.“
„Ich habe alles, was ich brauche.“
„Nicht mehr Lohn? Sonst nervst du mich dauernd damit, dir mehr zu zahlen.“
„Ich leiste hier verdammt gute Arbeit.“
„Als ob es so schwer wäre, eine Wohnung sauber zu halten.“ Tirranar schenkte ein. „Eine Sache noch, ehe wir anstoßen.“
„Was?“ Berit wich einen Schritt zurück, als Tirranar aufstand.
Er überwand die Distanz zwischen ihnen, ehe Berit Gelegenheit hatte, noch weiter zurückzuweichen, und umarmte ihn.
Die schmale Gestalt des Jungen wurde stocksteif.
Tirranar wusste, dass der Kleine so etwas verabscheute. Aber er brauchte das, sonst würde er hier völlig die Fassung verlieren. Berit wollte sicher keinen gefühlsduseligen Elfen am Rand der Tränen sehen.
Der Knoten in Tirranars Kehle wurde kleiner, als er langsam ausatmete. „Danke“, brachte er schließlich heraus.
Berit legte seine Arme zögernd auf den Rücken des Elfen. „Gleichfalls“, flüsterte er mit dem Kopf an Tirranars Brust. „Auf der Rückseite steht noch was. Du bist nicht der Einzige, der elfische Sprichwörter zitieren kann.“
Tirranar drehte das Bild um und las halblaut vor: „Freunde sind unsere Felsen in der Brandung des Lebens.“
Er brauchte Wein. Viel Wein.

 


Der siebte Text stammt aus der fabelhaften Feder von Jery Schober. Mehr von Jery gibt es auf ihrem Blog „Marmor und Ton“ und auf ihrem Twitter-Account.

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