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Verweht
Vor kurzem war er noch klein, nun wird er immer größer. Der alte Magier sieht zornig auf den dunklen Fleck hinab, der sich langsam den Berghang hinaufarbeitet. Da kommt er, der unerschrockene Recke, der tadellose Held, die Welt zu retten … Aber noch hat der Magier nicht aufgegeben. Dies ist sein Berg, er ist der Herr dieses Gipfels. Nur er regiert hier. Mag der Ruhm Aarons von Ostwald auch vom Langen See bis zum Finsterwald, von Tiefenstein bis Hohental reichen, hier endet seine Macht.
Der Magier dreht sich um, blickt hinauf gen Gipfel, zu den drohenden Wolken. Er hebt den Stab hoch in die Luft, die Spitze glüht, zischende Blitze zucken hervor, zerstieben die Wolken, verwandeln das friedliche Grau des Himmelsmeeres in einen reißenden Strudel. Er spricht die Worte der Macht, langsam, bedächtig, dreizehnmal, wie es die Tradition gebietet, wie ihn sein längst verstorbener Meister einst gelehrt hat.
Im Himmel erheben sich die alten Götter von ihren kalten Betten, die Geister der Lüfte lauschen auf seinen Gesang. Die Wolkennymphen halten in ihrem Spiel inne, achtlos lassen sie den Ball fallen, der eben noch fröhlich über die Nebel tanzte.
Ein Eingeweihter beschwört sie bei dem alten Pakt, dereinst mit Blut unterzeichnet. Tausend Jahre kam es nicht mehr vor, doch sie werden folgen.
Iove selbst ist es, der die Befehle gibt. Grau ward er, von der Zeit gezeichnet, doch ist er längst nicht machtlos. Von seinem Thron aus befehligt er die anderen, heißt sie, all die Elemente zu entfesseln, den Geistern die Zügel zu lockern, die Winde zu befreien.
Die Nymphen beginnen, die Wolken zu durch wirbeln, schneller, immer schneller. Neptor öffnet die Schleusen, setzt die ungeheuren Wassermassen des Himmels frei. Die Wolken scheinen um das Schicksal des Helden zu weinen, der seinem Ziel bereits so nah ist, und doch so fern.
Denn nun zieht der Herr der Winde die Tore der Höhle auf, und heraus schießen sie. Der warme Südwind säuselt durch die Luft, lässt die Blätter an den Bäumen erzittern, spielt mit den Grashalmen am Hang. Er kräuselt die Haare des Helden, verfängt sich in seinem Bart und treibt ihm in jugendlichem Leichtsinn Regen ins Gesicht.
Doch nur kurz dauert sein Spiel, schon entkommt der tückische Westwind, von dem die Dichter einst sangen. Verschlagen ist er, weht mal hier, mal dort. Eifrig peitscht er die Äste, reißt ihnen die Blätter ab, schlägt mal von hier, mal von dort. Tief im Tal klappern die Fensterläden und die Häuser ächzen unter seiner Wut. Einem fleißigen Studenten durchblättert er das offene Buch, einem unvorsichtigen Mädchen raubt er den Hut … doch ist dies nichts gegen die Gewalten, die er am Berge entfesselt. Der Held, Aaron von Ostwald, duckt sich eng an den Hang, schiebt sich weiter Zentimeter um Zentimeter vor. Der Westwind reißt an seinen Kleidern, versucht, ihn zu heben, doch vergebens.
Schon entfesseln die Götter den Nordwind, befreien ihn aus seinen schweren Ketten. Boreas schüttelt sich, freut sich seiner freien Glieder. Tief holt er Luft, die Welt scheint er zu verschlingen, ehe er zu blasen beginnt. Hunderte Blätt-er erheben sich von den Bäumen, in der Bibliothek des Studenten fliegen die Bücher wild durcheinander, gleich einem Strudel des Wissens. Er ent-reiß-t den Häusern die Dä-cher, e-nt-wurz-elt so man-chen B-au-m. Graus-am fegt e-r ü-ber den H-a-ng h–ina-b, gr—eift n-a-c-h de—m H-e-l—de—n, d——–oc—-h de—r ——-
Verflixt, jetzt hat es mir doch wirklich die Buchstaben verweht!
Haiku VI
Emsig weht der Wind
Rosa Flocken hier und dort
Vom Kirschbaum geraubt